Kurz zuvor ein Schild mit Aufschrift „Portugal“ und gleich danach dieses Jakobsweg-Schild. Das ist mächtig irritierend, zumal ich definitiv Richtung Süden unterwegs bin und Santiago ca. 80 km nördlich (also hinter mir) liegt. Ich hätte das Schild einfach auf der anderen Straßenseite erwartet; da steht aber keins. Seltsam.
Atlantik
Pontevedra
Bin jetzt in Pontevedra und mache Pause; natürlich in einem Café, diesmal mit Blick auf den Stadtpark.
Immer noch bewölkt und extrem windig, teilweise von vorne. Ich hatte mich in der letzten Woche schon so an den Rückenwind gewöhnt.
Heute morgen ist es mir in Santiago ehrlich gesagt schon schwer gefallen weiter zu radeln. In dieser Stadt und vor allem um die Kathedrale herum herrscht so eine „wir-sind-angekommen“-Stimmung, die irgendwie nicht zu meinem Projekt passte, jetzt nochmals eine ganze Ecke weiterzuradeln. Hat sich aber nach den den ersten 10 – 20 km heute morgen gegeben. Jetzt bin ich wieder unterwegs. Und zwar so wie schon seit über einer Woche nicht mehr: Keine hundert Schilder, wo’s nach Santiago geht oder noch mehr Pilger, denen man nur folgen muss. Jetzt heißt es wieder selber Augen offenhalten.
Urwald ?
Caldas de Reis
Ausklang in Santiago
In Santiago die drei Fußpilgerinnen Ulrike aus Kirchheim, Susanne aus Münster und Kerstin aus Augsburg getroffen und bei Tapas und Vino tinto einen kurzweiligen, nachdenklichen und lustigen Abend gehabt. Alle drei sind über den Küstenweg im Norden gepilgert – eine Variante, die ich mir ja eine zeitlang auch fürs Fahrrad überlegt hatte, irgendwann dann aber verworfen hatte.
Und während wir Anekdoten unseres bisherigen Weges austauschen und einen wunderschönen Abend haben, verliert der bisherige Weltmeister und Topfavorit Spanien gegen Chile und fliegt somit nach nur zwei Spielen aus dem Turnier. Kein Wunder hatte der spanische Kellner so gut wie keine Zeit für uns.
Susanne wünsche ich am Donnerstag einen guten Rückflug und Ulrike und Kerstin noch einen „Bon Camino“ bis zur Küste.
Tja, und auch bei mir geht’s am Donnerstag weiter … Es gibt ein neues, letztes Ziel …
Kathedrale von Santiago
War und bin immer noch in und um die Kathedrale unterwegs. Sitze jetzt in einem Café mit Blick auf den Uhrenturm, das Königstor und das Heilige Tor (vgl. Bilder)
Eigentlich eine wunderschöne romanische Kathedrale, die nach meinem persönlichen Empfinden in den letzten Jahrhunderten durch die barocken Umgestaltungen ziemlich verschandelt wurde. Mir ist klar, dass ich mich damit etwas unbeliebt mache; aber mich stören halbnackte Engel mit Goldgewand und Goldflügel in einer Kirche.
Carlos S. Junior vor der Kathedrale
Ich bin kein Pilger
Ich habe weder eine Muschel am Fahrrad hängen, noch hatte ich einen Stein dabei, den ich am Cruz de Ferro hätte niederlegen können, noch habe ich einen Pilgerpass, der regelmäßig abgestempelt wird. Ich denke, dass mir auch die innere Einstellung zum Pilgern fehlt. Und wenn, würde ich mir ein anderes, einsameres Ziel aussuchen. Wobei natürlich nicht das Ziel, sondern der Weg entscheidend ist. Die Spanier sehen das entspannter: für die ist jeder ein Pilger, der in die nordwestliche Ecke von Spanien unterwegs ist. Vielleicht ist einfach auch nur mein eigener Anspruch zu groß. Nichtsdestotrotz lasse ich diesen Weg auf mich wirken und am Mittwoch die Stadt selbst.
Santiago – Dienstag spät abends
Bin sauber und gesättigt (Pfannkuchen mit Nutella – bei meiner Ausrüstung durchaus eine Herausforderung) und sitze jetzt vor der Bar des Campingplatzes und lasse den Tag nachklingen.
Es waren heute sehr schöne Strecken dabei (vgl. Bilder unten), vor allem bis kurz vor Palais de Rei. Der Rest auf der N-547 war weniger berauschend. Den Original-Camino wollte ich auf diesem Abschnitt nicht nehmen – ich bleibe dabei: der gehört den Pilgern zu Fuß. Als Radfahrer hat man dann gefälligst eine andere Strecke zu nehmen. Und es gibt ja auch die für Autofahrer ausgeschilderte Route, an die ich mich im Wesentlichen halte; häufig ist die mit dem Original-Camino auch identisch.
Wobei der Camino spätestens seit Leon ein wirklich vollkommen neues Erlebnis und Ereignis darstellt: Es ist hier in Spanien fast wie ein Volkssport. Es ist unglaublich viel los: auf dem Weg, in den Bars und an den Rastplätzen. Regelmäßig kommen Brunnen, Albergues und Cafés. Eine Halbliter-Flasche würde genügen, da man permanent nachfüllen kann.
Das war ein echter Nachteil der Radwege in Frankreich: man konnte tagelang am Rhein-Rhone-Kanal entlang radeln, ohne ein Laden, eine Wirtschaft oder sonst irgendeine Versorgungsmöglichkeit zu finden. Man musste den Radweg auf gut Glück verlassen.
Nach rund 2.450 km auf dem Rad bin ich jetzt in Santiago. So viele unterschiedliche Landschaften, Menschen, Häuser, … Diese Dinge ändern sich nicht schlagartig, sondern ganz langsam. Bis einem plötzlich auffällt, das war vor 20 km aber noch irgendwie anders. Und viele Dinge sind unverändert: Milchtüte, Spülschwamm und Nutella sehen genauso aus wie im Edeka zuhause – es sind die kleinen Dinge des Alltags, an denen das deutlich wird. Ich zahle mit Euros und die Straßenschilder sind die gleichen. Europa ist für mich bei dieser Tour kleiner, erreichbarer geworden. Und gleichzeitig ist Europa für mich größer geworden, vielfältiger und abwechslungsreicher.